Konsequenz ist das Zauberwort in fast jedem Erziehungsratgeber. Steht auf jeder dieser Hochglanzseiten, gleich neben „Liebevoll Grenzen setzen“ und „authentisch bleiben“. Klingt gut. Funktioniert im Idealfall auch. Aber weißt du, wann es bei mir so richtig hakt? Genau – ab dem Moment, in dem ich zu müde bin, um noch irgendwas konsequent durchzuziehen.
Und damit meine ich nicht „Och, heute war’s ein bisschen stressig“-müde. Ich rede von „Ich hab heute fünfmal die gleichen Lego-Polizisten gesucht, war dreimal im Supermarkt, hab zwei Kinder durch den Regen geschoben und eine nächtliche Magen-Darm-Aktion überlebt“-müde. Die Sorte Müdigkeit, bei der du deine Sätze mit „Papa hat gesagt, dass… äh…“ beginnst und nicht mehr weißt, wie du sie beenden wolltest.
Die Theorie: Konsequenz macht Kinder stark
Konsequent sein heißt: Regeln gelten immer. Und zwar unabhängig von Ort, Laune oder Tagesform. Wenn wir heute kein zweites Eis erlauben, dann auch nicht morgen. Wenn es heißt: „Um acht Uhr ist Schluss mit Fernsehen“, dann wird um acht abgeschaltet. Punkt.
Ich verstehe das Prinzip. Ich sehe den Sinn dahinter. Kinder sollen sich orientieren können, sich sicher fühlen, Verlässlichkeit erleben. Und das funktioniert nun mal besser, wenn sie wissen: Das, was Papa sagt, hat Gewicht. Immer. Nicht nur, wenn er ausgeschlafen ist.
Aber in der Praxis? Puh. In der Praxis ist das manchmal wie ein Fitnessprogramm für die Willenskraft – und zwar ohne Cheat Day.
Der Moment, in dem die Müdigkeit übernimmt
Es gibt so Tage, da denke ich: Heute zieh ich’s durch. Keine Ausnahmen. Kein „Na gut, ausnahmsweise“. Ich bin der konsequente Fels in der pädagogischen Brandung.
Und dann: Es ist 19:43 Uhr, die Zähne sind immer noch nicht geputzt, das eine Kind will noch ein Buch vorgelesen bekommen (zum dritten Mal das mit dem Feuerwehrauto), das andere klettert rückwärts auf die Couch und behauptet, es wäre ein Koala. Und du? Stehst da, willst „Nein“ sagen, aber bringst nur ein kraftloses „Na gut, aber nur ganz kurz“ raus.
Bäm. Konsequenz im Eimer. Dafür fünf Minuten Ruhe. Und in dem Moment fühlt sich das wie der bessere Deal an.
Eltern sind keine Maschinen
Ich weiß nicht, wie’s dir geht, aber manchmal frage ich mich, ob all diese Erziehungsratgeber jemals ein Kind ins Bett bringen mussten, das gleichzeitig Zahnschmerzen hat, Hunger auf Nudeln und ein kaputtes Einhorn.
Konsequent sein heißt auch: Kraft haben. Und diese Kraft ist endlich. Gerade in einem Alltag mit Kindern, Job, Haushalt, Verpflichtungen, Zahnarztterminen, Wäschebergen und dem ständigen Gedanken: „Hab ich eigentlich heute schon was Gesundes gegessen?“
Und genau da kommt der Punkt, an dem ich sage: Ja, Konsequenz ist wichtig. Aber nicht auf Kosten meiner seelischen Gesundheit. Nicht um jeden Preis. Nicht, wenn ich schon seit zwei Wochen gefühlt auf Reserve laufe.
Was passiert, wenn man mal nicht konsequent ist?
Hier kommt die gute Nachricht: Dein Kind wird nicht zum Tyrann, nur weil du heute aus Erschöpfung zugelassen hast, dass es zwei Folgen Paw Patrol schaut. Es wird nicht seine moralische Kompassnadel verlieren, nur weil du heute Abend beim „Ich will noch ein Keks“-Bettmarsch nachgegeben hast.
Denn Kinder brauchen nicht nur Regeln – sie brauchen auch Menschen. Echte Menschen. Mit Gefühlen. Mit Grenzen. Und ja, mit Schwächen.
Ich habe gemerkt: Wenn ich ehrlich erkläre, warum ich gerade nachgebe – also zum Beispiel sage: „Papa ist heute richtig müde und schafft es gerade nicht, mit dir zu diskutieren. Morgen machen wir’s wieder anders.“ – dann verstehen sie das. Vielleicht nicht sofort. Aber langfristig. Weil sie lernen: Auch Papas haben einen Akku. Und wenn der leer ist, ist es besser, ehrlich zu sein, als künstlich stark.
Der Trick mit der „bewussten Ausnahme“
Was mir geholfen hat: Ich nenne es nicht mehr „Inkonsequenz“, sondern „bewusste Ausnahme“. Klingt besser, fühlt sich besser an – und trifft es oft auch.
Wenn ich sage: „Heute machen wir eine Ausnahme, weil Papa echt k.o. ist“, dann ist das eine Entscheidung. Kein Kontrollverlust. Und das macht einen Riesenunterschied – auch für mein eigenes Gefühl.
Denn seien wir ehrlich: Wir machen uns als Eltern oft fertig. Wegen allem. Zu laut gewesen. Zu weich gewesen. Zu viel Süßes erlaubt. Zu wenig gespielt. Es hört nie auf. Aber weißt du was? Perfekte Eltern gibt’s nicht. Nur echte. Und die sagen manchmal auch einfach: „Weil ich’s gerade nicht besser hinkrieg.“
Konsequenz ist kein Dogma, sondern ein Kompass
Die Frage ist doch: Was ist das Ziel unserer Erziehung? Ich will meinen Kindern zeigen, dass sie sich auf mich verlassen können. Dass ich nicht alles durchgehen lasse. Aber auch, dass ich ein Mensch bin. Mit guten Tagen. Mit müden Tagen.
Und wenn sie das verstehen, dann lernen sie auch: Konsequenz ist wichtig – aber Menschlichkeit ist wichtiger. Wer sich selbst nicht zugesteht, mal schwach zu sein, verlangt von seinen Kindern am Ende auch zu viel.
Ich will, dass meine Kinder stark werden. Und empathisch. Und realistisch. Und dazu gehört, dass sie lernen: Auch Papa sagt mal „Nein“ und meint’s dann doch nicht ganz so. Nicht, weil es ihm egal ist – sondern weil er manchmal einfach nicht mehr kann.
Die Angst, inkonsequent = inkonsequent = inkonsequent
Ich hatte lange den Gedanken: Wenn ich jetzt einmal nachgebe, dann ist alles dahin. Dann testen sie mich ab morgen bei jeder Gelegenheit. Dann werde ich zum luschigen Wunschautomat mit Bart.
Aber weißt du was? Das stimmt so nicht. Kinder merken sehr genau, wann etwas eine Ausnahme ist – und wann es zur neuen Regel wird. Wichtig ist nur, dass wir die Ausnahme benennen. Und dass wir sie nicht zur Gewohnheit machen.
Einmal nicht durchgezogen heißt nicht: Alles verloren. Es heißt einfach nur: Heute war nicht mein Tag.
Die stille Kraft der Selbstfürsorge
Ich habe irgendwann verstanden: Wenn ich wirklich konsequent sein will, dann muss ich auch für mich sorgen. Klingt banal – ist aber revolutionär. Denn Erziehung braucht Energie. Und die kommt nicht von alleine.
Also: Schlaf, so gut es geht. Trink genug. Beweg dich. Hol dir Pausen, wenn du kannst. Und ja, das geht nicht immer. Aber manchmal geht’s ein bisschen. Und das reicht schon, um den Akku aufzuladen.
Ich hab mir kleine Routinen gebaut. 5 Minuten durchatmen, wenn die Kinder malen. Ein Kaffee auf dem Balkon. Ein kurzes Gespräch mit einem anderen Papa, der genau weiß, wie sich das anfühlt. Diese Mini-Pausen helfen, nicht komplett durchzudrehen.
Fazit: Ich bin konsequent – meistens. Und das reicht.
Ich versuche, meinen Kindern klare Regeln mitzugeben. Ich versuche, ein verlässlicher Papa zu sein. Einer, der Nein sagt, wenn’s nötig ist. Einer, der Ja sagt, wenn’s passt. Einer, der mit Herz erzieht – und mit Verstand.
Aber ich bin auch müde. Manchmal überfordert. Manchmal weichgekocht vom Tag. Und dann sage ich: Heute nicht. Heute bin ich nicht der starke Fels. Heute bin ich einfach nur Papa – in Jogginghose, mit Augenringen und einem Keks in der Hand.
Und weißt du was? Das reicht. Es reicht völlig.
Denn wenn ich meinen Kindern eins mitgeben will, dann ist es das: Du musst nicht immer perfekt funktionieren. Du musst nur ehrlich sein. Und liebevoll. Und manchmal ein kleines bisschen nachgiebig. Gerade dann, wenn du müde bist.