Es gibt diesen einen Moment am Tag, den ich mir nicht nehmen lasse. Egal, wie wild der Tag war, wie viele Mails mich auf der Arbeit genervt oder wie oft ich „Zieh dir bitte endlich deine Schuhe an!“ sagen musste – abends, wenn es ruhig wird im Haus, beginnt unser Ritual. Unser Papa-Kind-Moment. Und ganz ehrlich: Es ist mein geheimer Akku-Booster. Nicht die Netflix-Serie danach, nicht das Feierabendbier – sondern diese halbe Stunde, in der nur wir zwei existieren.
Wenn die Welt draußen still wird
Bei uns fängt das Ritual an, wenn die Zähne geputzt sind und das letzte „Ich will aber noch was trinken!“ verklungen ist. Dann kommt der Satz, auf den mein Sohn sich jeden Abend freut: „Und jetzt? Papa-Zeit.“ Er sagt das mit diesem schelmischen Grinsen, das man nur hat, wenn man ganz genau weiß, dass gleich etwas richtig Schönes passiert.
Wir kuscheln uns aufs Sofa, er nimmt seine Kuscheldecke, ich meinen zweiten Kaffee des Tages (den, den ich nie austrinke, weil er zu heiß ist, bis ich eingeschlafen bin). Und dann lesen wir. Oder er erzählt. Oder wir erfinden gemeinsam Geschichten. Meistens mit einem Drachen, der nie ganz weiß, ob er lieber Angst machen oder Freunde finden will. Manchmal wird aus dem Drachen auch ein Pirat, ein verlorenes Marsmännchen oder ein einsamer Baum, der reden kann. Immer ist es eine neue Reise.
Und das Tolle daran: Es ist unser Ding. Kein anderer kennt die Geschichte vom Drachen mit den Rollschuhen, der Angst vorm Rückwärtsfahren hat. Kein anderer kennt den magischen Wald, in dem es nach Erdbeereis riecht. Nur wir zwei. Und das macht es so besonders.
Geschichten, die uns verbinden
Was ich an diesem Ritual so liebe, ist nicht nur die Nähe oder das Runterkommen, sondern dieses kleine, fast unsichtbare Band, das zwischen uns wächst. Mal lachen wir Tränen, mal wird es ganz still, wenn der Drache traurig ist, weil er keinen findet, der mit ihm spielen will. Und dann finden wir zusammen eine Lösung. Es ist fast wie Therapie – nur mit Fantasiewesen und weniger Couch.
Einmal hat mein Sohn mitten in einer Geschichte gesagt: „Papa, der Drache ist wie ich, oder? Der will auch dazugehören.“ Und mir ist kurz das Herz stehen geblieben. Ja, genau das ist es. Diese Geschichten sind wie eine kleine Bühne, auf der er seine Gefühle zeigen darf – ohne dass es sich zu groß oder zu schwer anfühlt.
Manchmal erzählen wir uns auch, was am Tag blöd war. Und weißt du was? Kinder können viel ehrlicher sein als Erwachsene. Mein Sohn sagt dann Sätze wie: „Papa, ich war heute traurig, weil ich beim Spiel nicht mitmachen durfte.“ Und ich? Ich darf einfach nur zuhören. Keine Tipps, kein „Ach, das wird schon“ – nur da sein. Einfach mal die Klappe halten und mitfühlen. Ist gar nicht so einfach, wie’s klingt, aber unfassbar wichtig.
Ein Ritual als Anker
In einem Alltag voller Termine, Wäschebergen und To-do-Listen ist dieses Ritual mein fester Anker. Es erinnert mich daran, worum es wirklich geht. Nicht darum, alles richtig zu machen. Sondern da zu sein. Im Moment. Ohne Handy. Ohne Gedanken an den morgigen Meeting-Marathon.
Und manchmal, wenn ich selbst nicht so einen guten Tag hatte, wenn ich mich wie ein mieser Papa gefühlt habe, weil ich zu oft „Nein“ gesagt oder zu wenig Geduld hatte – dann kommt dieser Abendmoment. Und ich spüre: Ich bin genug. Für ihn. Genau so, wie ich bin. Diese halbe Stunde hebt den ganzen Tag wieder hoch, wie ein innerlicher Reset-Knopf. Und ehrlich? Ich brauch den mindestens so sehr wie er.
An manchen Tagen bin ich völlig durch. Dann würde ich mich am liebsten einfach nur aufs Sofa werfen, Chips rein, Serien an, Hirn aus. Aber dann höre ich seine Stimme: „Papa-Zeit?“ Und ich weiß, dass genau das der bessere Weg ist. Nicht immer leichter, aber besser.
Papa-Zeit ist kein Programmpunkt
Ich glaub, das ist das Geheimnis. Dieses Ritual ist kein Pflichtprogramm. Kein „Jetzt machen wir noch schnell was Pädagogisch Wertvolles“. Es ist einfach unsere gemeinsame Zeit. Und genau deshalb ist sie so besonders. Es gibt keine Regeln, keine Erwartungen, kein „Wir müssen jetzt aber“. Nur Nähe, Fantasie und manchmal ein bisschen Quatsch.
Neulich hat mein Sohn beschlossen, dass unser Drache auch mal müde ist und keine Geschichte erzählen will. Also haben wir ihm ein Bett gebaut – mit Kissen, Decke und Gute-Nacht-Lied. Wir haben dem Drachen vorgesungen, und danach war mein Sohn so tiefenentspannt, dass er selbst eingeschlafen ist. Ich saß noch eine Weile daneben und hab dem Drachen leise erzählt, wie stolz ich auf ihn bin.
Und weißt du was? Ich hoffe, dass mein Sohn sich irgendwann mal, wenn er erwachsen ist, daran erinnert. An das Sofa, den Drachen, an Papa mit seinem halb vollen Kaffeebecher. An das Gefühl, dass da jemand ist, der einfach da ist. Und dass er dann vielleicht genau das an seine Kinder weitergibt. Vielleicht sogar mit einem neuen Drachen. Oder einem Roboter. Oder was auch immer dann gerade angesagt ist.
Diese Rituale, die wir als Väter mit unseren Kindern leben – die sind kein Beiwerk. Sie sind die stillen Grundpfeiler, auf denen Kindheit ruht. Und ehrlich gesagt, auch unsere Vaterschaft.